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DDR-Plaste

Erstabdruck in der Sammlerzeitschrift "Trödler", Heft 7/2011, Text / Fotos: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft - Das Heft ist noch beim Verlag erhältlich! INFO

 

div. Tabletts und Schalen, Meladur, unteres Tablett 46 x 31 cm, VEB Plasta Preßwerk Auma

 „Sollten Sie in einigen freien Minuten einmal darüber nachdenken, wie viele Dinge des heutigen täglichen Bedarfs aus Plasten bestehen, dann werden Sie bemerken, wie fest und umfangreich die Plaste von unserem Leben Besitz ergriffen haben. Wie lässt es sich erklären, dass völlig neue Stoffe in solch vielfältigen Anwendungsarten sich in so wenigen Jahren durchgesetzt haben?“ fragt 1966 die DDR-Zeitschrift „Kultur im Heim“ ihre Leser und hat dabei die Antwort im Grunde schon in der Überschrift vorweggenommen: „Plastartikel für den Haushalt sind formschön, zweckmäßig, farbenfroh.“

 

 

 In der Tat sind die Produkte aus dem „Zauberreich der Chemie“ Mitte der 60er Jahre aus vielen Bereichen des DDR-Alltags kaum noch wegzudenken – eine Entwicklung, für die die Weichen bereits im November 1958 während der „Chemiekonferenz“ in Leuna gestellt wurden. Auskunft darüber, wie deren vollmundig verheißungsvolles Motto „Chemie gibt Brot – Wohlstand – Schönheit“ zu verstehen ist, erteilt ein zeitgenössischer Kommentar der Wirtschaftsredaktion des Berliner Rundfunks: „Die Chemie gibt uns künstliche Düngemittel und hilft, die landwirtschaftlichen Erträge zu erhöhen; sie gibt Kraftstoffe für Industrie und Verkehr, sie gibt neue Werkstoffe, die für manche Erzeugnisse zweckmäßiger sind als teures Holz und wertvolle Metalle. Die Chemie gibt schließlich farbenfrohe, duftige Gewebe, vielerlei formschöne Haushaltsgeräte, eine schillernde Palette bester leuchtender Farben, und nicht zuletzt hunderte Sorten von Parfum, Creme und Puder.“

 

"Der stapelbare Eierbecher mit Untersatz aus Polystyrol", Länge 12,3 cm, Wiessmann & Co, Halberstadt

 Beschlossen wird auf besagter Konferenz, durch eine zukünftige Bündelung wirtschaftlicher Kräfte zugunsten der chemischen Industrie deren Gesamtproduktion in beträchtlichem Maße zu erhöhen. Erreicht werden soll dies zum einen durch die optimierte Nutzung der bereits vorhandenen Werke als auch durch die Errichtung neuer, modernerer Anlagen. „Wir nehmen in diesen Tagen Anlauf, um in einer großen nationalen Kraftanspannung den weitesten bisher gemachten Sprung nach vorn in unserer wirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Das Sprungbrett ist die chemische Industrie, in der märchenhafte Möglichkeiten der Produktivität und des allgemeinen Wohlstands stecken“, prophezeit das Fachbuch „Schöpfung ohne Grenzen“ und auch in vielen anderen Veröffentlichungen dieser Zeit ist eine regelrechte Euphorie spürbar, die die sozialistische Zukunft in den allerschönsten Farben ausmalt und kaum Grenzen des Machbaren kennt. Nicht nur von Plasthäusern ist dort die Rede und von aus Baukastenteilen zusammengeklebten Wolkenkratzern. Auch „der Bau von Plast-Klimaglocken, die ganze Stadtteile mit einem gleich bleibenden gesunden Klima versorgen“ und dadurch „eine ungeheure Bedeutung für die Volksgesundheit bekommen“, scheint keine Utopie, sondern nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Zu dieser Zeit immerhin bereits für fast 5 Prozent der weltweiten Produktion verantwortlich und damit 7.größter Chemieproduzent überhaupt, möchte die Führung der DDR mit Hilfe der „Wunderwelt aus der Retorte“ auf jeden Fall den westdeutsche Klassenfeind überflügeln, nicht zuletzt, um dadurch „die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend zu beweisen.“

Wenn dies dann geschehen sein wird und “in Westdeutschland viele Betriebe zur Kurzarbeit übergehen und zu Entlassungen schreiten“, will man sich jedoch gnädig zeigen: „Mit unserer erfolgreichen Entwicklung können wir die Bevölkerung Westdeutschlands nicht nur politisch und moralisch, sondern auch materiell unterstützen.“ (Zitat: Chemiekonferenz). Sogar eine konkrete Zeitvorgabe ist zu entdecken: Innerhalb von 1200 Tagen, d.h. bis 1961, soll die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch überholt werden. Weiterer Beweggrund für die Konzentration auf die Chemie ist die Aussicht auf eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit verbunden mit der Hoffnung, „dass in wenigen Jahren ein großer Teil des Bedarfs unserer Bevölkerung aus den Erzeugnissen der heimischen Chemieindustrie gedeckt wird.“

 

Eierbecher, Polystyrol, 24 x 8 x 9,5, Sonja Plastik

 So reckt denn Ende der 50er Jahre in Leuna „gurgelnd und zischend unser größter Chemiebetrieb vital seine 16 berühmten Schornsteine empor und im Ringen, die kühnen Ziele zu erreichen, wachsen neue Chemiezyklopen aus dem Boden“, frohlockt „Schöpfung ohne Grenzen“. Auch die zugesagte „brüderliche Hilfe“ der Sowjetunion in Form von Öllieferungen trägt zur allgemeinen Aufbruchstimmung bei. War die DDR bislang fast ausschließlich auf die mit großem Energie- und daher Kostenaufwand aufzubereitende Braunkohle als Ausgangsstoff für die heimischen Produkte aus der Retorte angewiesen, soll die Chemiewirtschaft nun in naher Zukunft als Zeichen „kommunistischer Verbundenheit und internationaler proletarischer Solidarität“ durch den Bau einer Pipeline „an den Rohstoffvorräten der Sowjetunion teilhaben“ und dadurch in die Lage versetzt werden, verstärkt in die wesentlich effizientere Öl verarbeitende Petrolchemie einzusteigen. Im Gegenzug soll die DDR für die Lieferung fertiger Chemieerzeugnisse in „die Staaten des sozialistischen Lagers“ verantwortlich sein. - Also wird 1959 mit dem Bau der über 3000 Kilometer langen Erdölleitung „Freundschaft“ begonnen, die „das schwarze Gold“ 5 Jahre später bis in das brandenburgische Schwedt bringen wird. Bereits große Vorfreude empfindet im selben Jahr das Leipziger „Messe ABC“: „Durch die gemeinsam von der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik projektierte Erdölleitung wird uns die Sowjetunion nach deren Bau Riesenmengen Erdöl schicken: In jeder Minute werden acht Tonnen Erdöl über die Grenzen unserer Republik fließen.“ Innerhalb der Messe nehmen die für chemische Erzeugnisse reservierten Ausstellungsflächen im Folgejahr der Konferenz natürlich großen Raum ein und „es besteht kein Zweifel, dass wir künftig von unserer chemischen Industrie noch manche Überraschung erwarten dürfen.“

 

1965

Zu diesem Zeitpunkt ist der Einsatz von Plasterzeugnissen in bestimmten Gebieten aber durchaus schon zur Selbstverständlichkeit geworden, so zum Beispiel im Automobilbau oder im Elektrobereich. Auch für den häuslichen Aufgabenkreis werden bereits 1954 im Rahmen der Ausstellung „Werkstoffe auf neuem Kurs“ „Kunststoffe des täglichen Lebens“ vorgestellt. Auf einer „Beispielschau“ gibt es für die Besucher unter anderem „eine Küche, ein Bad mit Toilette, ein Wohn- und Arbeitsraum und eine Kindertagesstätte“ zu entdecken, „in denen sämtliche sichtbaren Gebrauchsgegenstände aus Plasten bestehen“. – Scheiterte eine umfangreichere Verwendung der Kunststoffe im Küchenbereich bis dahin noch an mangelnder Geruchs- und Geschmacksneutralität derselben, bekommen „die Zauberer an den Riesenretorten“ diese Unzulänglichkeiten zum Ende des Jahrzehnts hin weitestgehend in den Griff, sodass zunehmend – vorerst jedoch noch hauptsächlich in Fachzeitschriften - auch Geschirre und Küchenartikel aus Plast auszumachen sind. Zu den besonders gelungenen Vertretern dieser Produktionssparte gehören ein für Kantinen entwickeltes Essgeschirr mit verschieden großen untereinander kombinierbaren Schalen und Tabletts sowie ein Campinggeschirr, bei dem zwei Gedecke sowie Sahnekännchen und Zuckerdose nach Gebrauch in der dazugehörigen Kaffeekanne verstaut und somit Platz sparend transportiert werden können. Beide kommen mit hohem Gebrauchswert und zugleich in solch zeitlos stimmigen Formen und Farben daher, dass sie sich über mehrere Jahrzehnte hinweg erfolgreich auf dem Markt behaupten können.

 

Campinggeschirr, 1959, Meladur, Kannenhöhe 13 cm, VEB  Preßwerk Tambach (Preta), Gestalter Hans Merz

 

Campinggeschirr im Einsatz (Privatfoto, Sammlung Wirtschaftswundermuseum)

 

Bis die Plaste jedoch wirklich in nennenswertem Maße Einzug in die DDR-Haushalte halten, dauert es noch bis Anfang der 60er Jahre. So ist denn erstmals im Frühjahr 1961 im Inhaltsverzeichnis des Katalogs des „Versandhaus Leipzig“ eine neue Sparte mit dem Titel „Plasteartikel“ zu entdecken. Dass bezüglich des neuen Werkstoffes noch Erklärungsbedarf sowohl für die Katalogmacher (die beim Gebrauch des Begriffes „Plaste“ mehrfach Einzahl und Mehrzahl verwechseln) als auch für die Konsumenten besteht, offenbart eine Einleitung auf der entsprechenden Seite im Kataloginneren, die in moderner Kleinschreibweise beginnt: „plaste…das Wunder der Chemie. Welche Hausfrau hat die Vorzüge dieses praktischen Materials noch nicht erkannt? Es ist geruch- und geschmackfrei, hygienisch, leicht und bruchfest, formschön und farbenfreudig. Plaste ist für Ihren Haushalt kein Ersatz, sondern ein unentbehrlicher Rohstoff.“ Auch die einzelnen Artikel sind hinsichtlich Material, Eigenschaften und Verwendungszweck genauestens beschrieben. Offeriert werden unter anderem die bereits erwähnte „raumsparende, vielseitig verwendbare Camping-Garnitur aus Thermo-Plaste“ sowie „Dessertteller mit Löffel aus farbigem Polystyrol im farbigen Klarsichtkarton für Pudding, Obst und Salate, völlig geruch- und geschmackfrei“, ein Gedeck, 5teilig, aus Meladur, pastellfarbig“ oder eine Eierlöffel, Salatbesteck, Gebäckzange und Tee-Ei beinhaltende „Geschenkpackung!“ mit dem trefflichen Namen „Alles aus Plaste“.

 

                   

1963

 

1965

 Im Nachfolgekatalog hat sich das Angebot zwar kaum verändert, doch der Begleittext klingt schon wesentlich selbstbewusster: „Farbenfrohe Plaste begeistern jede moderne Hausfrau. In der ganzen Welt werden heute die Vorzüge dieser Materialien geschätzt. Sie sind leicht und nahezu unverwüstlich. Unsere Artikel sind ihres hohen Gebrauchswertes und ihrer zweckmäßig schönen Form wegen beliebt und begehrt.“

 

         

Saftbecher, Polystyrol, Höhe 13 cm

 

Saftkrug und Becher, Becher Höhe 13cm, Trusioma

 

Die Bezeichnung „Plaste“ übrigens hat sich nicht etwa im Laufe der Zeit umgangssprachlich „von selbst“ entwickelt, sondern war eine seinerzeit von den verantwortlichen Stellen gezielt eingeführte Namensgebung. Denn weil die bis dahin gebräuchlichen Kunststoffe vielfach noch nicht ausgereift waren oder durch unsachgemäße Behandlung und häufig auch durch Einsatz in ungeeigneten Bereichen schnell Schäden genommen hatten, haftete ihnen allgemein noch der Ruf an, lediglich ein minderwertiger Ersatz zu sein. „Um die Vorurteile schneller überwinden zu helfen, wurde angestrebt, die Sammelbezeichnung „Kunststoffe“ fallen zu lassen und dafür eine neue Bezeichnung einzusetzten“, erfährt der Interessierte diesbezüglich in W. Schraders Standardwerk „Kunststoffe – Plaste“. „In der Deutschen Demokratischen Republik wird der Begriff „Plaste“ bevorzugt“, der sich „in Anlehnung an fremdsprachige Kunststoffbezeichnungen“ aus dem russischen, französischen und englischen“ entwickelte. Noch einmal differenzierter liest sich das in „farbenfrohe Leichtgewichte“ von H. Raubach, der mit einem griffigen Vergleich erläutert, warum die verschiedenen Kunststoffgruppen trotz aller Gemeinsamkeiten nicht in einen Topf geworfen werden sollten und folglich eine begriffliche Unterscheidung zwischen Chemiefasern, „Anstrichmitteln und Klebstoffen“, „elastischen, gummiartigen Kunststoffen“ (Elaste) und Plasten vonnöten ist: „Würde jemand behaupten, alle Nahrungsmittel seien Backwaren, so wären bald Einwände da: Im gleichen Maß stellt es eine sprachliche Willkür da, wenn man unter Kunststoffen lediglich die verstehen will, die nach Abtrennung der Kunstfasern, Lacke und Synthesekautschuke übrig bleiben. Deshalb bezeichnet man bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik diese Gruppe als Plaste.“ Gleiches verkündet Robert Beckers „Kunststoffe erobern die Welt“, das, zwei Jahre später erschienen als die zuvor zitierte Quelle, zudem darüber Aufschluss gibt, dass dieser Begriff mittlerweile offensichtlich auf breite Akzeptanz gestoßen ist: „Ganz sachlich richtig ist es also nicht, nur einen Teil der Kunststoffamilie als Plaste zu bezeichnen. Aber dieser Begriff hat sich eingebürgert, und man bezeichnet eben den Teil der Kunststoffe so, der nach Abtrennung der eigenständigen Gruppen noch übrig bleibt.“ Um den sprachlich korrekten Gebrauch des neu eingeführten Begriffs sorgt sich (wie das vorangegangene Beispiel aus dem Katalogtext zeigt, nicht ohne Grund) schließlich Günter Just in dem von der „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“ herausgegebenen Band „Es geht nicht ohne Plaste“: „Es ist allerdings wünschenswert, mit dem Wort „Plast“ nicht nur die alten, mit vielen Vorurteilen behafteten Kunststoffvorstellungen über Bord zu werfen, sondern es auch grammatisch richtig zu gebrauchen. Es ist falsch, wenn man sagt: Wir wenden eine Plaste an, oder: Die Plasten sind synthetische Werkstoffe. Plast ist männlich. Und um es auch dem Letzten klarzumachen, dekliniert Just den Begriff abschließend durch alle vier Fälle sowohl im Singular („der Plast, des Plasts, dem Plast, den Plast“) als auch im Plural („die Plaste, der Plaste, den Plasten, die Plaste“). Tröstlich: Da der „kontinuierliche Entwicklungsprozess der Plaste und aller damit zusammenhängender Probleme und Begriffe noch längst nicht abgeschlossen ist“, „wird keinem der Kopf abgerissen, der noch das Wort Kunststoff verwendet.“ Und auch im Bezug auf die allenthalben zu lesenden Visionen einer nahezu grenzenlosen Verwendbarkeit des Werkstoffs bleibt der Autor wohltuend sachlich: „Das ist der blinde Plastfanatismus, der am liebsten seine gesamte Umwelt aus Plasten sehen möchte! Nichts gegen einen gesunden Optimismus (…) Doch übertriebener Eifer schadet nur; vor allem, wenn er sich, losgelöst von den plasteigenen Möglichkeiten, in irrealen Wunschträumen bewegt.“

 

Eierbecher, Polystyrol, Schachtel  20,5 x 15 x 6,5 cm, Wiessmann & Co. Halberstadt

 Unterschieden wird innerhalb der Plaste zwischen den zwar festen, aber bis zu einem gewissen Grad flexiblen Thermoplasten (z.B. PVC, Polystyrol oder Polyamid), die sich innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs beliebig oft verformen lassen und die auch jeweils miteinander verschweißt werden können, sowie den harten, glasartigen Duroplasten wie Melamin (bekannte Handelsnamen waren „Didi“ und „Meladur“), die, einmal durch den Einfluss von Wärme und hohen Druck zu einem bestimmten Objekt gepresst, nach ihrer Aushärtung nicht mehr verformt werden können. Die Chemiefabriken verlassen die Thermoplaste als Granulat und die Duroplaste als Flüssigharz, um in den hydraulischen Pressen, Spritzgussmaschinen oder Vakuum-Formanlagen der zahlreichen Endverarbeitungsbetriebe in ihre endgültige Form gebracht zu werden.

 

Tassenfilter ´Rilon´, Polystyrol, Polyamid, Schachtel 10 x 10 x 6,5 cm,  VEB Textil- und Dederonverarbeitung Dresden-Nord

 1961 jedenfalls widmet die Zeitschrift „Kultur im Heim“ den Plasten einen Großteil ihres 4.Quartalsheftes. Dort ist zu erfahren, dass das ansprechend sachliche Design vieler in dieser Zeit entstandener Haushaltsartikel nicht von ungefähr kommt: „Um die Industrieform der Gefäße und Geräte des Haushalts bemühen sich Gestalter des von Prof. Karl Laux geleiteten Instituts an der Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle/Saale, Burg Giebichenstein. Besondere Verdienste erwarben sich seine wissenschaftlichen Mitarbeiter durch die Betreuung der plasteverarbeitenden Industrie.“ Dass in zitierter Quelle eigentlich der ehemalige Leiter der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin Weißensee, Professor Werner Laux, gemeint ist, den man schlichtweg mit dem bekannten Musikwissenschaftler Karl Laux verwechselte, ist sicherlich mehr als ein Indiz dafür, wie wenig sowohl der Akt der Formgestaltung an sich als auch die Namen der Ausführenden in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Auf jeden Fall aber ist in „Kultur im Heim“ grundlegendes über Anspruch und Wirklichkeit der „Industrieformgestaltung“ in der DDR zu Beginn der 60er Jahre zu erfahren: „Wenn uns die Form moderner Flugzeuge begeistern mag und unsere Phantasie beflügelt, so muss das neue Bügeleisen doch nicht der kleine Bruder vom Überschalljäger sein. Alles am rechten Platz, sinnvoll und mit Maßen! Leider aber finden wir recht häufig die Tendenz zu einer „Weltraumornamentik“. Schuld an derlei Verirrungen ist – natürlich - die Bundesrepublik: „Sehen wir nach Westdeutschland, so müssen wir erkennen, dass dort leider Orgien dieser Art gefeiert werden, die bedauerlicherweise auch in einigen Köpfen unserer Menschen spuken.“ Dennoch kommen die meisten ostdeutschen Gebrauchswaren dieser Zeit ohne allzu viel optischen Schnickschnack daher, was nach Einschätzung der Zeitschriftenmacher eine logische Konsequenz der unterschiedlichen politischen Systeme ist. Denn „in den kapitalistischen Staaten wird die Formgebung sehr oft lediglich dazu benutzt, „anders“ auszusehen als das Erzeugnis der Konkurrenz. (…) Diese Methode akzeptieren wir nicht. Wir haben innerhalb unserer sozialistischen Wirtschaft keinen Konkurrenzkampf auszufechten und können daher alle Kräfte unserer Formgestalter sinnvoll anwenden: als ein Bestandteil unserer Kultur, als Mittel, unsere Umwelt schöner und vollendeter zu gestalten.“ Ziel ist letztlich, „unter der Vielzahl der heute produzierten Industrieerzeugnisse Ordnung zu schaffen, eine Ordnung, mir der wir unsere Umgebung sinnvoll gestalten wollen.“

 

Eierbecher, Höhe 45 mm,  Felsch Plasterzeugnisse

 Vorangegangen war solchen Erkenntnissen die Anfang der 50er Jahre einsetzende „Formalismusdiskussion“. Während seinerzeit fortschrittliche Geister wie der Rektor der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin, Mart Stam, versuchten, mit einer dem Zweck untergeordneten und auf industrielle Fertigung ausgelegten Formgebung an die Tradition des Bauhauses anzuknüpfen, wollten die politisch Verantwortlichen sich stattdessen lieber auf „die Vielfalt des nationalen kulturellen Erbes des deutschen Volkes“ berufen und eine „neue deutsche realistische angewandte Kunst“ entwickeln, die in ihren Erzeugnissen die gewandelten politischen Verhältnisse zum Ausdruck bringen sollte. Deutlich werden dahingehende Bestrebungen unter anderem im Katalog zur Ausstellung „Deutsche angewandte Kunst“ im Jahr 1954, in dem zwei vom „VEB Lehrkombinat Werkstatt für Glasgestaltung“ in Weißwasser gestaltete Glasschalen als Positivbeispiel für „die Abkehr von der bisher geltenden Regel: Je einfacher umso besser“ vorgestellt werden: „Hier hat der Schliff, durch den diese Gläser verziert wurden, die Form nicht zerstört, sondern bereichert…In Anbetracht der Leistungen, die die werktätigen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik beim Aufbau ihrer neuen Ordnung vollbringen, ergibt sich die berechtigte Forderung, dass alle Dinge des täglichen Lebens so schön wie möglich gestaltet sein müssen, damit sie den Menschen mit Freude und Zuversicht im Kampf für ein besseres Leben erfüllen.“.

 

Tischmenage, Polystyrol, 21 x 9 x 9 cm, VEB MLW Polyplast Halberstadt

 

In den ausklingenden 50er Jahren erledigte sich die Formalismusdiskussion dann jedoch mehr oder weniger von selbst. Es wurde offensichtlich, dass die allenthalben angestrebte Erhöhung der Produktivität nur mit einer weit gefassten Sortimentsbereinigung möglich war, die in vielen Warenbereichen zwangsläufig auch eine Reduzierung der jeweiligen Typenvielfalt zur Folge hatte. Des Weiteren wurde durch „Standardisierung“ von Maßen und Bauelementen schließlich doch auf eine rationelle industrielle Fertigung in Großserien gesetzt. Ein Festhalten am „nationalen Erbe“ hingegen hätte sich aus Kosten- und insbesondere auch aus Geschmacksgründen nicht nur für eine länderübergreifende Zusammenarbeit mit den sozialistischen Nachbarn als hinderlich erwiesen, sondern erst recht für das Bemühen, DDR- „Erzeugnissen auf den Auslandsmärkten einen Erfolg zu garantieren.“ „Arbeitsteilung und Warenaustausch vertrugen sich schlecht mit nationaler Traditionspflege, es wäre denn, man wollte sich mit heimischen Souveniren begnügen“, fasst das Heinz Hirdina in seinem Standardwerk über DDR-Design „Gestalten für die Serie“ zusammen.

 

Butterglocke, Meladur, Polystyrol, 17 x 13 x 7 cm, Preta - Käseglocken Polystyrol, Durchmesser 13 cm, Kimmel Plastik

 „Sieg der Industrieform“ ist denn auch das Resümee des Fachblattes „Neue Werbung“ nach einem Rundgang über die Mailänder Triennale 1957, die „den von der Industrie hergestellten Gegenstand in den Mittelpunkt gestellt hat“. An andere Stelle des 1958 mit dem Schwerpunktthema „industrielle Formgebung“ erschienenen Heftes folgt im Hinblick auf die Lage in der DDR die Erkenntnis, dass die zurückliegende „Tabu-Erklärung“ von Funktionalismus und Konstruktivismus, „die ihren logischen Platz in der Entwicklung der künstlerischen Besterbungen unseres Jahrhunderts haben, falsch war, weil dies ohne jeglichen Versuch einer ernsten, ehrlichen und überzeugenden theoretischen Analyse geschah.“

 

Eiswürfeleimer mit Zange, Polystyrol, Eimerhöhe 13 cm, Kimmel Plastik

 

Die DDR-Formgestalter jedenfalls haben sich in der Folge ganz in den Dienst der Industrieform zu stellen und auf stilistische Extravaganzen zu verzichten. In der 1959 vom „Institut für angewandte Kunst“ in Berlin herausgegebene Schrift „Chemie gibt Schönheit“ mahnt Autor Host Redeker seine Zunft denn auch, sich im eigenen Interesse an die Regeln zu halten: „Im Sozialismus ist Kooperation nicht nur möglich, sondern notwendig und wird zu einer Bedingung seiner fortschreitenden Entwicklung. Jeder Industriezweig, jedes Fachgebiet muss in der kommenden Zeit seinen Beitrag zur Erfüllung des Chemieprogramms leisten. Es ist auch für die angewandte Kunst unerlässlich, daraus die Konsequenz zu ziehen, dass ihr volkswirtschaftliches Gewicht und ihre kulturelle Wirksamkeit in den nächsten Jahren davon abhängen werden, wie sie sich in die große Kooperation einschaltet und den neuen volkswirtschaftlichen Prinzipien Rechnung trägt.“

 

"Blumengießer", um 1960, Polystyrol, Länge 30 u. 36 cm, VEB Glasbijouterie Zittau, Gestalter Klaus Kunis

 Den damaligen Konsumenten waren solche Vorgänge „hinter den Kulissen“ wahrscheinlich ziemlich egal. Zwar erwies sich ein ansprechendes Äußeres sicherlich als verkaufsfördernd, doch mehr noch dürften die Zeitgenossen an den praktischen Eigenschaften der Plastartikel interessiert gewesen sein. Doch allen Bemühungen um ein aufpoliertes Image zum Trotz ist die Resonanz bei den „Käufern der ersten Stunde“ häufig noch alles andere als positiv: „Nun seht euch solchen Schund an – immer der Ärger mit diesen Kunststoffen! Warum verkauft man uns eigentlich für teures Geld derartige Gegenstände, wenn sie schon bei zartester Berührung in die Brüche gehen? Aber es ist eben modern. Schöne Farben und eine tolle Form – und dann ist für die Benutzung erst eine Gebrauchsanweisung erforderlich! Hätte ich das Ding vielleicht als Schmuckstück in die Vitrine stellen sollen?“

 

Gewürzgarnitur, Länge 26 cm, Polystyrol, VEB  Preßwerk Tambach (Preta)

 

       

"rutschfeste Eierbecher Garnitur", Schachtel 15,5 x 15,5 x 5 cm, Kimmel Plastik - VEB Kunststoffverarbeitungsindustrie Sebnitz

 

"rutschfeste Eierbecher Garnitur", modernisierte Verkaufsschachtel.

 

Wilhelm Kimmel KG - "Die hohe Wirtschaftlichkeit von Plast-Erzeugnissen, gepaart mit zweckmäßigen Formen in schönen Farben, wird unseren Erzeugnissen immer mehr Freunde sichern." (1962)

 

"Die formschöne Menage", Polystyrol, Schachtel 17 x 7 x 7 cm, VEB MLW Polyplast Halberstadt

 

Dabei hatte die solchermaßen vom Leder ziehende Hausfrau dieser beispielhaft erfundenen und in dem Band „Es geht nicht ohne Plaste“ nachzulesenden Geschichte ihren neuen „schmucken, zitronengelben Polyäthyleneimer“ nur mal eben auf dem Küchenherd abgestellt. Leider war die Herdplatte noch heiß und nun hat er sich in ein „hässlich deformiertes Gebilde verwandelt, das aussieht wie ein zusammengeklappter Zylinderhut.“ Bezeichnenderweise nennt der Autor seine Protagonistin „Mutter Gestrig“, um im Folgenden darzustellen, „dass der Stab über diese neuen Werkstoffe gebrochen wird, ohne sie wirklich zu kennen, und ohne das Bemühen, sie zu verstehen.“ Und so finden sich nicht nur an dieser Stelle sondern in nahezu allen damaligen Veröffentlichungen über Plastartikel auch Hinweise über den richtigen Umgang mit den verschiedenen Plastarten, die in vielerlei Hinsicht noch wesentlich empfindlicher als die heutzutage gängigen Kunststoffe waren und daher einer entsprechend sorgfältigen Handhabung bedurften: „Richtige Behandlung und Pflege der Plastwertstoffe heißt: Ihre Eigenschaften kennen und sie bei ihrem Einsatz und ihrer Reinigung beachten…In keinem Fall Scheuersand verwenden!“ „Mit dem Plast auf du und du“ oder „Seien Sie nett zu den Plasten“ überschreibt die Zeitschrift „Guter Rat“ Artikel zum Thema und der „Industriebetrieb mit staatlicher Beteiligung“ Wiesmann & Co./ Halberstadt legt seinen Erzeugnissen sicherheitshalber Zettel mit detaillierten Hinweisen bei: „Guten Tag, liebe Hausfrau! Mein Name ist „Polystyrol“ aus der Familie der Plaste. Ich bereite Ihnen Freude durch meine gute Form, mein leichtes Gewicht und meine schöne Farbe. Wenn Sie sich diese Freude erhalten wollen, dann pflegen Sie mich so, wie es sich für einen Plast gehört. Bringen Sie mich nicht in heißes Wasser, erhitzen Sie mich nicht über 60 Grad Celsius (…) und werfen Sie mich nicht. Dann fühle ich mich bei Ihnen wohl.“ Auch via Fernsehen wurde versucht, die Menschen mit dem neuen Material vertraut zu machen, so zum Beispiel durch den im Rahmen der Reihe „Tausend Tele-Tips“ ausgestrahlten Werbefilm „Heinzelmännchens Plast-Parade“, in dem ein Chemiker verschiedene Plastarten als Heinzelmännchen im Haushalt vorstellte. (Quelle: „Das große Lexikon der DDR-Werbung“).

 

                     

Limonadenlöffel, Polystyrol, Länge ca. 22 cm, Kimmel Plastik

 

Campingtasche, Polyäthylen, Höhe inkl. Henkel ca. 34 cm

 

Letztlich werden die Bemühungen von Erfolg gekrönt. Mitte der 60er erfreuen sich Haushaltsartikel aus Plast solch großer Beliebtheit, dass die Zeitschrift „Guter Rat“ sich bemüßigt fühlt, ihre Leser zu ermahnen, deren Einsatz nicht zu übertreiben: „Können Sie sich vorstellen, dass sie eine festliche Tafel mit Plasttellern decken? Natürlich nicht. Natürlich nicht? Sehen wir uns einmal um, und wir werden bemerken, dass diese Verneinung gar nicht so selbstverständlich ist.“ Der Nachsatz: „So mancher wird vom Plast verführt, sein Leben primitiver zu machen, als es eigentlich zu sein brauchte“, gibt Aufschluss darüber, dass entsprechende Produkte sich zwar offensichtlich in vielen Bereichen als praktische Helfer etabliert hatten, aber nach wie vor keinen besonders hohen Prestigewert besaßen.

 

 

 

Neben ungezählten in Form- und Farbgebung außerordentlich gelungenen Gebrauchsobjekten ist nun immer häufiger auch Kitsch, insbesondere in Gestalt von Bleikristallglas imitierenden Trinkgefässen und Schalen zu finden („Plastkristall“).

 

Plastkristall, Kompottgarnitur 7-teilig, Schachtel 30 x 22 x 7,5 cm, Pneumant, VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla

 Und obwohl die meisten Erzeugnisse dieser Art von den bloßen Fakten her gegen so ziemlich jede Regel des guten Geschmacks verstoßen, sind einige von ihnen durchaus in der Lage, beim heutigen Kunststoff - Liebhaber und –Sammler Begeisterung auszulösen. Der Grund dafür ist die außerordentlich facettenreiche Farbvielfalt der Plaste. Im rechten Licht betrachtet scheint manch simple Kompottschüssel gar eine regelrechte Strahlkraft zu entwickeln - was nachvollziehen lässt, warum solche Produkte seinerzeit so viel Anklang fanden.

 

Kompottschalen, Polystyrol, Schüssel Durchmesser 20 cm

 

                  

Kompottschalen, Polystyrol, Höhe 45mm, Durchmesser 75mm, Trusioma

 

Likoer Stamper, Polystyrol, Höhe 45 mm, Goldring

  Überhaupt macht die Entdeckung der übergroßen Fülle farblicher Abstufungen einen Großteil des Reizes beim Sammeln von Plast-Haushaltsartikeln aus und nicht selten erfahren auch von der Form her eher belanglose Gegenstände durch ihre Farbwirkung eine erhebliche Aufwertung. Für sich genommen erscheinen zwar einige der Farbtöne - zumindest für bundesrepublikanisch geprägtes Geschmacksempfinden - bisweilen etwas „ungewohnt“, doch lassen sie sich im Zusammenspiel mit andersfarbigen Vertretern gleicher Produktserien häufig zu derart spannend-harmonischen Farbakkorden vereinen, dass es eine wahre Freude ist, immer wieder neuen Kombinationsmöglichkeiten auszuprobieren. Der zeitgenössischen Werbespruch „Farbigkeit bedeutet Schönheit“ bewahrheitet sich dabei auf verschiedenste Weise. Nach dem Öffnen des ansprechend illustrierten Verkaufskartons der „großen Dessertgarnitur“ des VEB Glasbijouterie Zittau

 

Dessert-Garnitur, Durchmesser Schüssel 22cm, Polystyrol, VEB Glasbijouterie Zittau

 

beispielsweise strahlt dem Betrachter ein Blau von solcher Intensität entgegen, dass der durch seine leuchtend blauen monochromen Bildkompositionen zu Berühmtheit gelangte französische Maler Yves Klein – hätte er es denn jemals gesehen - wahrscheinlich vor Neid erblasst wäre.

 

                                        

"Kunststoffe im neuen Kurs" - "Ausstellung im Berolinahaus vom 16.3. - 12.4.1954", Begleitheft zur Ausstellung
  "Chemie gibt Brot- Wohlstand- Schönheit" - Protokoll der "Chemiekonferrenz" in Leuna am 3. und 4. November 1958
  Polytechnische Bibliothek:  "Es geht nicht ohne Plaste - Ein Streifzug durch die Welt der Riesenmoleküle"

 

Prächtige Farben hat auch die Wilhelm Kimmel KG in Sebnitz zu bieten. Ihr fünfsprachiger (deutsch, englisch, französisch, spanisch, russisch) Katalog aus dem Jahr 1964 offeriert eine erstaunlich breit gefächerte Produktpalette, die von einer Plast-Gliederkette über einen Plast-Hammer (lieferbare Farbkombinationen gelb/blau, gelb/rot und gelb/grün) bis hin zu diversen Spielzeugartikeln wie zum Beispiel „Europäerkind Achim“, „Negerkind Achmed“ und dem Zipfelbemützten Püppchen „Sepp“ reicht.

                   
Wilhelm Kimmel KG Sebnitz / SA - "Plastik", Katalog   Wilhelm Kimmel KG Sebnitz / SA - "Plaste - ein Ausdruck unserer Zeit", Zeitschriftenwerbung

 

  Zudem legte die Firma augenscheinlich großen Wert auf eine attraktive Gestaltung ihrer Verpackungen. Letztere wurden bei diversen, lange unverändert im Sortiment befindlichen Artikeln mitunter mehrmals modernisiert und dokumentieren somit „als Zugabe“ für den Sammler Entwicklungen des DDR-Verpackungsdesigns. Auffällig ist, dass auf Kimmels Schachteln, wie bei diversen anderen Herstellern auch, nicht der Begriff „Plaste“, sondern nur die Bezeichnung „Plastik“ zu finden ist. Wahrscheinlich sollten durch diese Vorgehensweise nicht von vornherein die Chancen auf einen möglichen Export in die „westliche Welt“ geschmälert werden.

 

                            
"Formschön, farbenfroh und praktisch? - Dann wählen Sie Plaste!" (1963)   Guter Rat - Titelbild zum Thema "Plaste" (1966)   "NBI - Die Zeit im Bild" - "Plaste - nicht nur für den Hausgebrauch" (1970)

 

                                       
Magazin für Haus und Wohnung - Titelthema: "Cowaplast" (1967)  

"Guter Rat - Für heute und morgen" - "Zum Umschlagbild: Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit - so heißt das Motto des großen Chemieprogramms, das im Rahmen des Siebenjahrplans eine Produktionssteigerung um fast das Sechsfache gegenüber 1958 vorsieht" - Zeitschrift (1960)

   

 

Eine Informations-Fundgrube ohne Gleichen stellt der der vom Ministerium für Handel und Versorgung herausgegebene „Gebrauchswarenkatalog Plaste - Erzeugnisse“ dar.

 

                


 

"Gebrauchswaren-Katalog Plaste-Erzeugnisse", Herausgegeben vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministerium für Handel und Versorgung, Berlin C2, Littenstraße 61-63

 Mit seinen über zweihundert farbigen Produktabbildungen und ausführlichen Beschreibungen („Käseglocke, Glocke glasklar Polystyrol, Unterteil Meladur, farbig, EVP 2,35“) sowie ausgesprochen reizvoll im Stil der Zeit gestalteten Deckblättern zu den einzelnen Abteilungen wie „Haus- und Küchengeräte“ oder „Wasch- und Toilettenartikel“ gibt er einen umfassenden Überblick über die um 1960 in der DDR produzierte Bandbreite von Plastartikeln für den Haushalt. Vor allem erweisen sich die Informationen über die jeweils verwendeten Kunststoffarten als sehr hilfreich, da die in Fachbüchern verbreitete Methode zur Einordnung, nämlich vom Objekt „mechanisch einen Span zu lösen“ und über einer Flamme zu erhitzen, um an der entsprechenden Reaktion (z.B. „sprühende Verbrennung“, „starke Dampfentwicklung“) den jeweiligen Typ zu erkennen, bei einem Sammler solcher Objekte wohl nicht wirklich auf Begeisterung stoßen dürfte…..

 

Kannenuntersetzer ´Neue Form´, Polystyrol, Schachtel 15 x 15 x 3 cm, Petz

 

Aber nicht alle in der DDR angebotenen Plastartikel sind auch dort entstanden. So wurde anfangs mit den beliebten und in ungezählten Farbnuancen hergestellten „Punktebechern“ auch ein „Klassiker“ der DDR-Haushalte eingeführt. Belegt wird dies durch den Katalog des „Centrum Versandhaus“, der die Becher in seiner Artikelbeschreibung als Import mit Ausrufezeichen anpreist: „Import! Trinkbecher gepunktet, innen weiß, außen pastellfarbig. Material: Polystyrol, Preis 1.-“. Erst später geben Markungen Hinweise darauf, dass die Becher dann auch in der DDR fabriziert wurden. Im Gebrauch waren sie nicht nur als Zahnputzbecher, sondern auch als Trinkgefässe, wie entsprechende Szenen in alten Folgen der DDR-Fernsehserie „Polizeiruf 110“ dokumentieren. Insbesondere die 70er-Jahre Produktionen dieser Sendereihe vermitteln übrigens, da nicht im Studio sondern überwiegend in originalen Wohnungen gedreht, viele authentische Einblicke in die DDR-Alltagskultur dieser Zeit.

 

Trinkbecher, Polystyrol, Höhe ca.10 cm

 Auch koffergleich zusammenklappbare Plastbehälter, die Platz für jeweils zwei, vier oder sechs Eier boten, um diese beim Transport vor Beschädigungen zu schützen, gehörten zur Standardausrüstung eines jeden DDR-Haushaltes. Kommen sie formgestalterisch eher konventionell daher, erweist sich jedoch ein vergleichsweise selten zu findender, in der Sowjetunion hergestellter und 20 Eiern Platz bietender Träger durch Form und Farbe als echter „Hingucker“ für jede im Stil der 70er Jahre eingerichtete Küche. So mancher unvoreingenommene Betrachter würde in ihm sicher eher das Designobjekt eines Verner Panton vermuten als einen profanen Gebrauchsgegenstand.

 

Eierträger, 30 x 22 x 7,5 cm, Sowjetunion

 Gemessen an ihren hohen Produktionszahlen sind DDR-Haushaltsartikel aus Plast heute nicht mehr so häufig zu finden, wie man annehmen könnte. Vieles ist sicherlich im Müll gelandet, als sich nach der Wende auf den Straßen die Abfallberge meterhoch mit nicht mehr für gut genug erachtetem Hausrat türmten. Auch wenn sich seinerzeit vorausschauende Händler noch so manche Rosine herausgepickt haben dürften, befanden sicherlich die wenigsten von ihnen schlichte Plastartikel einer Rettung für würdig. Nichtsdestotrotz sind die erhalten gebliebenen Stücke in der Regel für kleines Geld zu erstehen.

 

                            

Eierbecher, Höhe 4 cm, Sonja Plastic

 

Eierbecher, Gotthard Keiner, Schachtel 22 x 6 x 4,5 cm

 

Ausstechförmchen, Polystyrol,  Schachtel 14,5 x 14,5 x 2,5 cm, VEB Plasta Preßwerk Köppelsdorf

 Erwähnung finden sollen noch die diversen zeitgenössischen populärwissenschaftlichen Buchveröffentlichungen, die oft allein schon wegen ihrer mehrheitlich dekorativ-bunten Einbandgestaltung als sammelnswert erscheinen. Inhaltlich gleichen sie sich im Wesentlichen, indem sie auf mehr oder weniger unterhaltsame Weise chemische Grundkenntnisse vermitteln und über die individuellen Eigenschaften der jeweiligen Plasttypen informieren. Ein ähnliches Konzept liegt auch W. Schraders Büchlein „Kunststoffe Plaste“ zugrunde. Da seine Ausführungen jedoch mit in den verschiedenen Auflagen aktualisiertem und später sogar farbigem, damalige Produkte zeigendem Bildmaterial illustriert sind, sei dieser nur noch antiquarisch zu erwerbende Band jedem an entsprechenden weiterführenden Informationen interessierten Leser wärmstens empfohlen.

 

 

 


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